
Thomas Müller bei „Die Höhle der Löwen“
Pflegenotstand herrscht in Deutschland nicht erst seit Corona. Längst fehlt es an Fachkräften in Altenheimen und Krankenhäusern. Dies will Thomas Müller, der seit Dezember 2016 mit seinem Start-up curassist im TZK ansässig ist, ändern. Um mehr Kapital und Know-how zu erhalten, nahm er 2019 an „Die Höhle der Löwen“ teil. Die Ausstrahlung der Sendung erfolgte auf Vox am 17.03.2020 (Staffel 7 Folge 2). Welche Erfahrungen er seither gemacht hat und wie es mit curassist weitergeht, schildert er im Interview.
Herr Müller, wie kamen Sie auf die Idee, an „DHDL“ teilzunehmen?
Ich wurde schon öfter gefragt, ob ich nicht daran teilnehmen wolle. Irgendwann hatte ich dann zugesagt. Schon vier Wochen später kam dann überraschend die Aufzeichnung.
Dagmar Wöhrl und Carsten Maschmeyer boten gemeinsam 500.000 Euro für den Einstieg bei curassist zu je 15 Prozent Beteiligung. Nach Drehschluss und Verhandlungen platzte der 500.000 Euro Deal. Weshalb?
Wir hatten verschiedene Auffassungen des Geschäftsmodells und konnten uns da nicht einigen. 😉
Welche Konsequenzen hatte das für Sie?
Glücklicherweise hatte ich mich nicht auf dem Deal ausgeruht und einfach weiter gepowert. Wir haben versucht, eine Ersatzfinanzierung zu bekommen, was im sozialen Bereich schwer ist. Es ist auch wichtig, die richtigen Gesellschafter zu haben! Mittlerweile haben wir uns dezentralisiert und viele Funktionen automatisieren können, so dass wir immer noch gut aufgestellt sind.
Haben Sie durch die Sendung mehr Menschen für Ihr Anliegen sensibilisieren können?
Oh ja, ich komme mit dem Beantworten der E-Mails und Telefonate kaum nach. Forciert wird dies aktuell natürlich noch durch Corona. Da haben wir einen riesigen Bedarf auf der Seite der Patienten. Die Problematik wird aktuell wesentlich stärker wahrgenommen. Ich bin gespannt, wie lange der Trend anhält.
Was hatten Sie sich von der DHDL erhofft?

Vor allem, dass die Problematik und unsere Lösung bekannter werden. Es ist sehr schwer Werbung für soziale Projekte zu machen, wenn man kein Budget bekommt. Da wollten wir die Marketingpower und Kontakte von Carsten Maschmeyer und die politischen Kontakte von Dagmar Wöhrl nutzen. Wenn es um die Gesundheitsindustrie geht, wäre Know-how genial gewesen, um die Branche ordentlich aufzumischen. Wir haben ja enormes Potenzial mit dem Fachwissen der Pflegekräfte. Da wir aber in einer regulierten Branche tätig sind, ist alles etwas teurer und langsamer als in anderen Branchen.
Was haben Sie aus DHDL gelernt?
Ich habe viel über meine interne Gesellschafterstruktur gelernt. Es ist ein Erlebnis, ohne Frage! Aber es ist auch sehr aufwendig und sollte ganz klar strategisch durchdacht werden. Da ich sehr gut vernetzt bin, hatte ich die richtigen Berater. Das war ein enormer Vorteil.
Woran scheitern Ihre Finanzierungsgespräche?
Ein typisch deutsches Problem ist die fehlende Risikobereitschaft. Wir hatten nur Venturecapital in curassist und festgestellt, dass eigentlich nur investiert wird, wenn alles klar ist und man kein Risiko eingehen muss. Ein neuer Markt, den man erst aufbauen muss, schreckt alle ab und ist schwer zu finanzieren. Wenn man dann noch auf den falschen Investor trifft, wird es enorm schwer. Aber einen Investor zu haben, bedeutet noch lange keine Ruhe. Ich kenne keinen Investor, der sich in folgerunden aktiv für ein Start-up einsetzt. Auch bei Finanzierungsrunden wird ständig der Rotstift angesetzt. Hinterher fragen sich dann alle, warum das Geld immer so knapp sei.
Wozu benötigen Sie das Kapital?
Es gibt viele Kosten für eine Vorfinanzierung, ohne die curassist nicht richtig durchstarten kann. Man muss eben investieren, bis der Umsatz kommt. Alleine das Erreichen der ‚kritischen Menge‘ an Pflegekräften oder die stetigen Softwareanpassungen an den sich ständig verändernden Gesetzgebungen muss vorfinanziert werden. Die Gesundheitsbranche hat Regulatorien, die sehr personalintensiv sind. Man benötigt die gleiche Anzahl an Mitarbeitern für 100 Pflegekräfte, wie für 10.000 Pflegekräfte. Zudem brauchen wir Kapital für Werbung. Aber ganz gleich wie innovativ oder wie sozial eine Idee ist, am Ende zählt nur der Umsatz. Das war schon immer das Problem bei curassist und den Investoren. Auch wenn es oft gesagt wird, kaum einer hat wirklich die Geduld in Ruhe ein Unternehmen zu finanzieren, das eben Vorlauf von mehreren Jahren benötigt.
Was muss passieren, damit die Verantwortlichen im Gesundheitswesen aktiv werden?
Unglaublich viel. Sie werden nur aktiv werden, wenn sich jemand aus ihrer Mitte dem Thema annimmt. Derzeit sieht die Situation wie folgt aus: die Pflege ist Landessache und die Kassen sind selbstorganisiert. Für sie gibt es nur die angestellten Pflegekräfte bzw. Strukturen – wie eben Krankenhaus, Heim oder Pflegedienst – die man schön über einen Kamm scheren kann, um das Maximum aus den Verwaltungsbeträgen zu bekommen. In Deutschland muss jede Kombination zwischen Pflegekraft und Patient neu angemeldet werden. Und das dauere im Schnitt zwölf Monate.
Der einzelne Pfleger ist für die Kassen nicht nur unerheblich, sondern erscheint auch lästig, was man an der Bezahlung sieht. Einige Kassen zahlen den in Deutschland höchst qualifizierten Pflegekräften nicht das Gehalt für Fachkräfte, sondern das Durchschnittsgehalt zwischen ungelerntem Pflegehelfer – also Mindestlohn – und Fachkraft. Das ist auch der Grund, warum wir den Pflegekräften bei einigen Kassen empfehlen, keine Patienten mehr aufzunehmen.
Genau hier springt curassist ein und bündelt die Kompetenzen. Bei 105 gesetzlichen Krankenkassen und 16 deutschen Bundesländern ergeben sich über 1.600 verschiedene Antragsverfahren. Curassist leitet Pflegekräfte durch das „Gesundheitssystem-Wirrwarr“ und benötigt für einen Antrag etwa einen Monat, statt zwölf, bis er durch ist.
Wie sieht die Zukunft von curassist aus?
Eine gute Frage. Aktuell (Stand 22.03.2020) sind 1.275 Pflegekräfte in der App registriert. Mehr als doppelt so viel wie vor einem Jahr. Ich habe jetzt wieder alle Anteile von curassist, was die Investorenstruktur trotz Auflagen enorm entspannt. Aktuell bauen wir curassist zu einem Familienunternehmen um. Wir haben zudem auch nicht mehr Möglichkeiten von den Altgesellschaftern bekommen. Eine neue Finanzierung suchen wir zwar dennoch, aber nicht um jeden Preis. Der neue Investor muss tatsächlich mit uns zusammen kämpfen. Die Geduld habe ich, diesen zu finden. Curassist macht trotz aller Herausforderungen weiterhin großen Spaß: Wir schauen zuversichtlich nach vorne.
Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.
Über curassist: Die curassist GmbH versteht sich als Kompetenzzentrum für selbstbestimmte und selbstorganisierte Pflege. Curassist ist für Patienten mit ihren Angehörigen und für Pflegekräfte da, begleitet Pflegeprofis in ihrer Freiberuflichkeit und nimmt ihnen Verwaltungsaufgaben ab, damit sie sich komplett auf die Pflege konzentrieren können. Für Angehörige und Patienten entsteht so eine Liste von qualifizierten Einzelpflegern, die individuell und persönlich bei der Pflege unterstützen oder diese vollständig übernehmen.
Weitere Informationen: www.curassist.de