“Wir betrachten uns nicht als Start-up.”

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Kommt mit auf einen Kaffee bei Qurasoft GmbH. Ich lasse euch am Gespräch mit den Gründern teilnehmen, die es geschafft haben, dass Ministerpräsidentin Malu Dreyer sie zu einer Gesprächsrunde im TZK besuchte. Darüber haben sowohl wir als auch Koblenz Digital berichtet. Nachdem die SPD-Politikerin gegangen war, schlug mir das Team von Qurasoft vor: “Komm doch demnächst einfach mal bei uns vorbei, dann zeigen wir dir alles und erzählen von uns.” Wie hätte ich so eine Einladung abschlagen können? Die Qurasoft GmbH stellt telemedizinische Lösungen für Menschen mit chronischen Erkrankungen zur Verfügung. Innovativ und beeindruckend. Schnell vereinbarten wir einen Termin und knapp eine Woche später saß ich in einem gemütlichen Sessel im obersten Stockwerk des TZK und blickte durch die große Fensterwand Richtung Universität.

Das tragende Team von Qurasoft. Die drei Gründer und ihre KI-Expertin. Tobias Hastenteufel, Erwin Junker, Ilka Reinhard und Artur Schens.
v.l.n.r.: Tobias Hastenteufel, Erwin Junker, Ilka Reinhard und Artur Schens.

“Wenn du nach unten schaust, siehst du den Parkplatz auf dem Hügel”, wies mich Erwin Junker, einer der drei Gründer, hin. Ich blickte hinab. Tatsächlich. Erwin grinste. “Du ahnst nicht, was man da alles zu sehen bekommt.” Verrückte Wendemanöver spielten sich augenblicklich vor meinem inneren Auge ab und auch ich musste grinsen. Dann ging es auch schon los. “Erwin, bitte stell dich in wenigen Sätzen vor”, forderte ich ihn auf, während sich die anderen beiden Gründer an ihre Schreibtische setzten, um zu arbeiten und nebenbei hin und wieder etwas in unser Gespräch einzustreuen.

“Mein Name ist Erwin Junker, geborener Schens. Ich habe dieses Jahr geheiratet, daher die Namensänderung. Studiert haben wir alle drei Informatik und gründeten 2014 das Unternehmen Qurasoft GmbH. Wir entwickeln persönliche Apps zur Kontrolle von chronischen Erkrankungen.”

Wie kam es zu dieser Unternehmensidee?

Erwin: In der Informatik muss man im Master-Studiengang ein Forschungspraktikum absolvieren. Tobias hatte bereits seine Bachelor-Arbeit darüber geschrieben, wie man Asthma-Patienten unterstützen könnte. Damit hatte er Erfolg und fragte uns dann, ob wir nicht mit ihm dieses Thema im Forschungspraktikum vertiefen und gemeinsam entwickeln wollen. Wir saßen Tage und Nächte an diesem Projekt und entwickelten im Grunde unseren ersten Prototypen. Schnell war uns klar, dass wir das professionell machen möchten, deshalb haben wir gegründet. Zunächst zu viert, aber dann orientierte sich einer aus dem Team um. Seitdem sind Tobias, mein Zwillingsbruder Arthur und ich die drei Gründer und wir werden von Ilka unterstützt. Sie ist für KI und Produktentwicklung zuständig. Je nachdem, was gerade benötigt wird, haben wir weitere Entwickler und Werkstudenten.

Tobias, wie bist du ursprünglich auf dieses Thema gekommen?

Tobias: Durch mein Umfeld. Ich sah, dass es Menschen gibt, die so etwas gebrauchen könnten. Unsere Fähigkeiten liegen zum Glück in der Informatik. Deshalb haben wir schon ziemlich früh alle gemeinsam diese Idee weiterentwickelt.

Erwin: Anfangs hatten wir keinen Forschungsplan, sondern legten einfach los, probierten Dinge aus, sprachen mit Patienten und Ärzten. Diesem Forschungspraktikum haben wir also zahlreiche Kontakte zu verdanken. Es war und ist uns möglich, alle Seiten zu befragen und herauszufinden, was sich die Betroffenen wünschen, wo Ärzte Bedarf sehen und so weiter.

Wie sieht es im Markt für euch aus?

Erwin: Der Gesundheitssektor ist ein sehr regulierter Markt, in den es nicht einfach ist, hineinzukommen. Viel Platz für Innovationen ist hier nicht zu finden.

Und das obwohl die Patienten Eure Apps und andere Innovationen vermutlich gut gebrauchen könnten.

Erwin: Ja, aber dabei müssen mehrere Dinge beachtet werden. Für uns steht der Patient an erster Stelle, unsere Leistungen müssen aber auch finanziert werden. Das heißt, dass auch die Kostenträger entscheidend sind. Wären wir auf dem US-amerikanischen Markt, könnten wir unsere Leistungen direkt an den Patienten verkaufen, in Deutschland sieht die Sache jedoch anders aus. Hier hat der Patient seine Krankenversicherung und bezahlt als gesetzlich Versicherter üblicherweise weder die Leistung direkt beim Arzt noch eine App.

Außer die Privatpatienten.

Erwin: Der private Bereich stellt für uns nicht die oberste Priorität dar.

Es fehlt demnach eine gesetzliche Grundlage, die Euch eine Zusammenarbeit mit den Krankenkassen ermöglichen würde?

Erwin: Naja, das ist ein zweischneidiges Schwert. In unserem Bereich ist vieles eruiert, man benötigt unter anderem die ISO-Zertifizierung. Das ist verständlich. Denn wenn ich zum Beispiel ein neues Kniegelenk brauche, möchte ich mich zu 100 % darauf verlassen, dass dieses künstliche Gelenk auch tatsächlich funktioniert. Die Regelungen, die das sicherstellen, gelten auch für unsere Software. In der Software-Entwicklung müssen jedoch normalerweise Fehler erlaubt sein. Wenn es sich bei der Software, wie in unserem Fall, um ein medizinisches Produkt handelt, darf diese aber zu keinen falschen Entscheidungen führen. Es wäre fatal, wenn ein Arzt aufgrund von fehlerhaften Daten die falsche Medikation verschreiben würde. Dann können wir nicht argumentieren: “Unsere Software ist nunmal innovativ und darf daher Fehler enthalten.” Deshalb müssen wir immer doppelt und dreifach überlegen, ob wir eine neue Funktion hinzufügen oder etwas wegnehmen.

Erwin Junker im Gespräch mit Alexandra Klöckner.

Wie sieht es denn aktuell auf der politischen Ebene zum Thema digitale Medizinprodukte aus?

Erwin: Es ändert sich aktuell sehr viel. Jens Spahn möchte als Bundesminister für Gesundheit, dass die Krankenkassen pauschal digitale Dienste abrechnen können. Viele Krankenkassen machen das mittlerweile und stellen den Patienten ein Digitalkonto zur Verfügung. Doch auch die Krankenkassen sind an ein Sozialgesetzbuch gebunden. Dabei stellt sich für diejenigen unter anderem die Frage: Liegt ein klinischer Nutzen für uns vor? Uns ist klar, dass eine Krankenkasse die Apps nicht einfach kaufen und hoffen kann, dass diese Produkte tatsächlich etwas bringen. Denn dabei geht es immerhin um das Geld der Gesellschaft und sie müssen dafür geradestehen. Insofern ist das ein langsamer Prozess, aber aus guten Gründen langsam.

Software als Medizinprodukt ist noch ziemlich neu. Ist das ein Problem?

Erwin: Die Krux an der Sache ist folgende. Alle unsere Software-Produkte sind nach Medizinprodukten zertifiziert. Bei Medizinprodukten gibt es zum Beispiel Gefahrenklassen, in die man sich einordnen muss. Je nach Gefahrenklasse, benötigt man die eine oder andere Zertifizierung und muss bestimmte Auflagen erfüllen. Das Problem ist, dass die aktuelle Medizinproduktrichtlinie zu Produkten wie Skalpellen, Gelenken und allem passt, das sich tatsächlich anfassen lässt. Es ist überhaupt nicht ausgelegt auf Software. Als der Mann von der Gewerbeaufsicht zu uns kam, hatte er einen Fragebogen dabei, der Fragen enthielt wie zum Beispiel: “Ist die Produktionsstätte steril und rein?” Das ist doch bei Software nun wirklich nicht relevant.

Das klingt wie ein Witz. Wird sich das in absehbarer Zeit ändern?

Erwin: Ja, ab 2020 soll eine neue Medizinproduktrichtlinie gelten. Dann wird Software allerdings noch höher gewertet werden als ohnehin schon. Aktuell kann man Software je nach Auslegung in eine niedrige Gefahrenstufe einordnen, aber nach der neuen Richtlinie wird Software automatisch in eine höhere Klasse eingestuft. Für viele Unternehmen wird das bedeuten, dass sie plötzlich eine ISO-Zertifizierung vorlegen müssen. Qualitätsmanagement nach ISO erfordert Zeit und einen großen Aufwand. Für uns ist schon länger klar, dass diese Zertifizierung wichtig ist. Wir sind nach der alten Richtlinie zertifiziert und befinden uns gerade in der Zertifizierung nach der neuen Richtlinie.

Demnach ist der Anspruch im Software-Bereich gestiegen.

Erwin: Genau. Manchmal würden wir uns wünschen, dass die Sache etwas lockerer gehandhabt wird, aber andererseits geht es hierbei um ein sehr wichtiges Thema, bei dem Sicherheit eine große Rolle spielt.

Ihr verfolgt gute Absichten, aber ein lockeres Gesetz würde auch weniger wertorientierten Unternehmen die Türen öffnen.

Erwin: Ganz genau, das ist die Problematik daran. Wenn man die Türen öffnet, öffnet man sie für alle. Dessen sind wir uns bewusst und meckern daher nicht, sondern packen die Sache an. Wir betreiben Datenschutz in einem Maße, das einige vielleicht schon für übertrieben halten würden, aber wir möchten uns das auf die Fahne schreiben. Denn Gesundheitsdaten sind sehr wertvoll und wir möchten nicht, dass sie missbraucht werden. Es ist unser oberstes Gebot: Alle Daten gehören dem Patienten, und nur er selbst kann und darf entscheiden, was damit geschieht.

Gesundheitsdaten sind gefragter als andere personenbezogenen Informationen.

Erwin: Absolut. Gesundheitsdaten sind interessanter als Finanzdaten. Sie haben einen viel höheren Wert. Denn was du heute auf dem Konto hast, kann übermorgen schon weg sein, aber wenn du heute eine chronische Erkrankung hast, wirst du sie noch lange haben. Allein schon solche Informationen sind für Pharmaunternehmen von Vorteil. Die Weitergabe dieser Daten könnte aber dazu führen, dass es für den Patienten dann heißt: “Sie kriegen dieses Medikament nicht, denn in ihrer Historie liegt bereits die Erbkrankheit XY vor.” Das wäre eine Katastrophe für jeden Patienten. Wenn man all das reflektiert, dann versteht man auch die Vorsicht der Politik.

Tobias: Datenschutz ist das A und O. Die Regularien sind sinnvoll.

Ihr könntet aber sehr viel Geld mit den Daten verdienen.

Erwin: Ja klar, machen wir aber nicht. Wir haben das System so entwickelt, dass wir als Entwickler gar nicht an die Patientendaten herankommen. Die Daten haben die Patienten auf ihrem Smartphone. Dort sind sie verschlüsselt.

Warum bezeichnet Ihr Euch nicht als Start-up?

Erwin: Wir sagen, wir sind Existenzgründer. Denn für ein Start-up sind wir zu konservativ. Wir sind kein junges Unternehmen in Berlin, dass entweder schnell durch die Decke geht und Millionen verdient oder pleite geht. Wir wollen uns wie ein traditioneller Handwerksbetrieb Stück für Stück alles aufbauen und kontrolliert wachsen. Manches muss langsam angegangen werden, um es nachhaltig umzusetzen. Es bringt niemandem etwas, wenn wir in einem Jahr mit 20 Leuten hier sitzen und ein Jahr später nur mit fünf oder nach drei Jahren keiner mehr hier ist. Das schnelle Geld ist keine Option für uns. Qurasoft ist eine Lebensaufgabe. Wir betrachten die Arbeit hier als unser Lebenswerk.

Im gemütlichen Büro der drei Gründer.

In der Gesprächsrunde mit der Ministerpräsidentin lautete die erste Frage von Malu Dreyer an euch: “Wovon lebt ihr?”

Erwin: Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir es ohne Investoren schaffen möchten. Uns ist wichtig, dass alles in unseren Händen liegt und wir die Entscheidungen selbst treffen. Das bedeutet, dass wir drei in unser Unternehmen investiert haben. Und wenn man aus einem Studentenjob kommt, hat man noch keine hohen Gehaltsvorstellungen oder Erwartungen. Viel schwieriger dürfte das Menschen fallen, die aus einem gut bezahlten Job in die Selbständigkeit gehen. Mit Familie und Kind wäre das kaum zu stemmen.

Tobias: Für uns war es der perfekte Zeitpunkt zu gründen, direkt aus dem Studium heraus. Wir dachten, wenn wir es jetzt nicht machen, dann nie.

In Deutschland scheitern viele Gründer bereits bei der Suche nach passenden Räumlichkeiten. Ihr seid direkt im TZK gelandet?

Erwin: Das ist richtig. Wir hatten Glück. Dadurch, dass ich hier bereits als Werkstudent bei TUTORize gearbeitet habe und wir das TZK kannten, wussten wir, welche Möglichkeiten hier vorliegen. Der Sprung von der Uni rüber ins TZK war klein.

Tobias: Mega unbürokratisch übrigens. Wenn wir keinen Bock auf Bürokratie hätten, wären wir in Deutschland und vor allem im Gesundheitssektor komplett falsch. Mit dem TZK ist jedoch von Anfang an alles sehr unkompliziert verlaufen.

Fühlt Ihr Euch wohl hier?

Erwin: Für den Preis, den wir hier zahlen, würden wir nirgends so gute Konditionen erhalten. Man kann hier Büroräume skalieren, hat Parkplätze, die Lage ist top, die Internetverbindung super, die Infrastruktur stimmt. Wir haben hier alles, was wir brauchen.

Tobias: Manche Gründer möchten vielleicht nach Berlin, aber wir sagen immer, das hier ist Mosel-Valley. Im TZK wird gegrillt, wer Lust hat, kann im Erdgeschoss Klavier spielen oder Kicker. An der Mosel ist der StattStrand und so weiter.

Arthur: Es wäre falsch, Koblenz mit Berlin zu vergleichen. Wir sehen im Standort Koblenz einen Vorteil.

Erwin: Im Bereich Gesundheitswirtschaft ist Koblenz ideal. Wenn wir zur Messe nach Berlin fahren, trifft sich dort die Koblenzer Szene.

Wie meint ihr das, warum treffen sich alle aus Koblenz in Berlin?

Erwin: Alle aus der Gesundheitsbranche sind dann dort, kommen aber von hier. CompuGroup, Debeka, Löwenstein Medical, Sebamed aus Boppard, wir. Es ist schön, dass wir hier in der Koblenzer Region unsere Ruhe haben, gut arbeiten können und nur fürs Event nach Berlin fahren. Das hier ist unsere Ecke. Außerdem möchten wir die Versorgung im ländlichen Raum fördern, was sollen wir dann in Berlin? Hier sind wir genau richtig.

Inwiefern bringen Eure Produkte Vorteile für den ländlichen Raum?

Erwin: Nicht nur für chronisch Kranke ist es eine Belastung, 40 km zum Facharzt fahren zu müssen. Und junge Ärzte wollen auch nicht aufs Land. Sie gehen davon aus, dass sie dort weniger verdienen aber vielleicht mehr leisten müssen und zudem keinen Großstadtflair haben. Wer die Wahl zwischen Eifel und Hamburg hat, entscheidet sich vermutlich für Hamburg. Deshalb möchten wir Anreize dafür schaffen, dass sich ein Arzt doch für die Eifel entscheidet. Dort kann er sich günstiger ein schönes Haus bauen, eine Familie gründen und die Freizeit im Grünen verbringen, weil seine Arbeit durch digitale Dienste unterstützt wird, die er in Hamburg so vielleicht nicht bekommt. Rheinland-Pfalz entwickelt hierfür gute Versorgungskonzepte. Die Lebensqualität ist heute entscheidender als die Höhe des Gehalts. Deshalb sind derartige Anreize sehr wichtig.

Ist Eure Konkurrenz groß?

Erwin: Da die digitale Versorgung von Patienten relativ neu ist, sind auch große Unternehmen an diesem Markt interessiert. Die Konkurrenz ist zwar überschaubar, aber das Gute ist, dass die großen Unternehmen nicht einfach etwas auf den Markt werfen, sondern auf uns zukommen. Sie sind vielmehr an Kooperationsprojekten interessiert. Denn ihnen ist klar, dass sie mit ihrer Größe und den damit verbundenen komplexen Arbeitsprozessen nicht so schnell agieren können wie wir in unseren kleinen Prozessen. Wir sprechen daher nicht von Konkurrenz.

Wie blickt Ihr in die Zukunft?

Erwin: Als nächstes steht der Herzverbund an, wo wir mit dem Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein ein telemedizinisches Projekt durchführen. Wir statten Herzinsuffizienz-Patienten mit unserer Software aus und versuchen sie noch engmaschiger zu überwachen und die Medikation zu kontrollieren. Wenn wir es schaffen, durch unsere Software Leben zu verlängern, dann haben wir unsere Aufgabe erfüllt. Das ist unser Anliegen. Zeit für Menschen zu gewinnen und Ärzte bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Euer Ziel ist demnach?

Erwin: Wir versuchen unsere Dienste in die digitale Versorgung zu integrieren, das auszubauen und den Patienten Mehrwert zu bieten.

Vielen Dank für das angenehme und aufschlussreiche Gespräch. Wir wünschen der Qurasoft GmbH weiterhin viel Erfolg.