Ivoflow – digitale Beschaffung im 21. Jahrhundert

Nicht einmal ein Viertel der Führungskräfte aus den Bereichen Einkauf und Supply Chain erhalten automatisch und in Echtzeit einen Überblick über ihre Gesamtausgaben. Etwa 50 Prozent trifft Entscheidungen immer noch auf Grundlage manuell analysierter Daten, so das Ergebnis einer Studie. Genau dieses Problem geht das im TZK ansässige Unternehmen ivoflow an. Das junge Unternehmen hat mit ivoflow eine Software für den strategischen Einkauf entwickelt, die den Einkauf revolutioniert und enorme Einsparpotenziale aufzeigt.

Nicolas Neubauer, Geschäftsführer von ivoflow
(Foto: Stefan Veres)

Herr Neubauer, wie kam es zur Gründungsidee von ivoflow?
Nicolas Neubauer: Als global agierende Einkaufsmanager in der Automobilindustrie waren Daniel und ich frustriert darüber, wie viel Zeit unsere Teams jeden Tag mit Datenmanagement und Reporting verbrachten. Am Markt fanden wir viele Lösungen, um den operativen Einkauf zu digitalisieren – jedoch keine Lösung, um den strategischen Einkauf zu vereinfachen. Die Komplexität steigt stetig, und trotzdem kommen dieselben Tools wie vor 15 oder 20 Jahren zum Einsatz. Die Aufgabe des strategischen Einkäufers in großen Industrieunternehmen besteht im Wesentlichen darin, strategische Ziele zu erreichen. Hierzu zählt insbesondere das Ziel, die Kosten des Produktionsmaterials zu reduzieren. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass der Einkauf in solchen Unternehmen jedes Jahr zwischen 15 und 500 Millionen Euro einsparen muss. Um Einsparpotenziale zu finden, müssen große Datenmengen miteinander verbunden, angereichert und analysiert werden. Dies geschieht heute zum Großteil händisch. Zu Beginn haben wir uns in unserem Netzwerk schlau gemacht, inwiefern unsere Idee technisch umsetzbar ist. Hier haben wir als Geschäftsleute nochmal einiges dazu gelernt, so z. B., was durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz alles umgesetzt werden kann. Im nächsten Schritt haben wir eine Art Software-Prototyp fertiggestellt und einigen befreundeten Einkäufern und Industrieexperten vorgestellt. Das Feedback war durchweg positiv, was uns dann im letzten Schritt dazu geführt hat, unsere bisherigen sehr guten Jobs für unsere Vision an den Nagel zu hängen. Von hier an ging alles recht schnell. Businessmodell definieren, Businessplan schreiben, Finanzierung sicherstellen, Büro im TZK anmieten, Entwickler einstellen und eben auch in einer der größten (auch wirtschaftlichen) Krisen der Zeit ein Unternehmen zu gründen. Mittlerweile sind wir ein Team von rund zehn Leuten, feste Mitarbeiter und Freelancer, die Vollzeit für uns arbeiten.

Sie haben die gängige Praxis angesprochen …
Ja, bisher wurden unzählige Reports aus sämtlichen Systemen in Excel-Dateien zusammengetragen und analysiert. Marktinformationen wie z. B. Wechselkurschwankungen oder Rohstoffpreise wurden hier oft nicht oder zumindest nicht in Gänze berücksichtigt. Das Arbeitsumfeld eines Einkäufers ist sehr komplex: 500+ Artikel, 20 Mio. €+ Einkaufsvolumen, 50+ Lieferanten, 20+ Werke, globale Organisationen von Brasilien bis China usw. Daher ist es den Einkäufern auch nicht möglich, alle Informationen „auf dem Schirm“ zu haben und zu analysieren. Man fokussiert sich in der Regel nur auf einen geringen Anteil des Einkaufsvolumens und verliert somit wertvolle Potenziale. Von unseren Kunden haben wir auch erfahren, dass die Mitarbeiter oft gar nicht die notwendigen, vollen analytischen Fähigkeiten zu jeder Zeit abrufen können. Daher bieten wir unseren Kunden mit ivoflow viel mehr als nur eine Software. Wir bieten unseren Kunden ein Tool, um ihre Mitarbeiter zu entwickeln, und geben ihnen die Denkweise des Einkaufs der Global Player mit. Dies hilft gerade „kleineren“ Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 0,5 Mrd. bis 5 Mrd. Euro p.a.

Wie haben Sie die Gründungsphase finanziert?
Aus eigenen Mitteln, aus Krediten und durch eine Beteiligung der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB). Genauer gesagt, die ISB hat sich im März über ihre Tochtergesellschaft, die Wagnisfinanzierungsgesellschaft für Technologieförderung in Rheinland-Pfalz mbH mit 10 Prozent am Stammkapital unseres Unternehmens beteiligt. Die Beteiligung erfolgte aus Mitteln des Innovationsfonds Rheinland-Pfalz II, eine Fördermaßnahme des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, die aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Europäischen Union mitfinanziert wird. Ausschlaggebend für die die Beteiligung war unser erfolgsversprechendes Unternehmenskonzept, das auf nachvollziehbaren Wachstumsperspektiven und hohen Wertschöpfungspotenzialen basiert. Eine weitere Begründung der ISB für die Beteiligung war, dass von unserer Softwarelösung Unternehmen aller Branchen und Größen profitieren können.

Was genau leistet Ihre Software?
Aus eigener jahrelanger internationaler Einkaufserfahrung in der Automobilindustrie kennen und verstehen wir die Probleme, die den strategischen Einkauf ausbremsen. Mit ivoflow haben wir eine Software geschaffen, die den strategischen Einkauf für globale Industrieunternehmen revolutioniert und jedem Mitarbeiter die Möglichkeit gibt, den strategischen Spend effektiver und effizienter zu steuern als je zuvor. Kurz gesagt, ivoflow ermöglicht die vollkommene Transparenz um die Einkaufsvolumen darzulegen, sämtliche Einsparpotentiale aufzudecken, zu visualisieren und bei der Umsetzung zu unterstützen und die Auswirkungen von Marktschwankungen auf den gesamten Einkauf stets aktualisiert zu berechnen. Das zeigt zum einen neue Potenziale auf, zum anderen hilft es, mögliche Risiken vorherzusehen. Das tun wir, indem wir sämtliche interne Datenquellen unseres Kunden mit Marktinformationen zusammenführen und mittels unserer künstlichen Intelligenz (KI) analysieren. Das reduziert die Kosten im Unternehmen enorm und bringt den Einkauf auf ein ganz neues Level – ein echter Wettbewerbsvorteil!

Welche Rolle spielt die KI?
Unser Tool imitiert die Denkweise des idealen strategischen Einkäufers. Es betrachtet dabei automatisiert globale Marktereignisse wie Rohstoffpreisentwicklungen, Wechselkurse, Transportkosten oder auch Einfuhrzölle und analysiert selbständig Angebote und Kostenaufschlüsselungen, sogenannte Cost-Break-Downs. Anhand der Ergebnisse kann ivoflow klare Handlungsempfehlungen aussprechen und den Einkäufern aufzeigen, was sie operativ tun müssen, um günstiger und effizienter einzukaufen.

Existieren vergleichbare Lösungen am Markt?
Nach Gesprächen mit ca. 50 Konzernen, etlichen Unternehmensberatern und dem Besuch von einigen Messen und Konferenzen können wir bestätigen, dass unsere Lösung aktuell außer Wettbewerb steht. Es gibt gerade eine enorme Anzahl von Procure-Tech-Start-ups, sprich Start-ups, die sich mit Einkaufsthemen beschäftigen. Diese fokussieren sich in der Regel aber auf den indirekten Einkauf, sprich, Sachen wie Versicherungen, Büroausstattung, Reisekosten, Firmenwagen etc. und eben nicht auf das direkte Produktionsmaterial. Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir uns auf den direkten Einkauf von produzierenden Unternehmen fokussieren und Einsparpotenziale durch unsere KI aufdecken.

Für welche Branchen oder Unternehmen eignet sich Lhotse Analytics besonders?
Unser Zielmarkt sind global agierende Produktionsunternehmen wie etwa die Automobilzuliefererindustrie, Hersteller für Haushaltswaren oder medizinische Geräte. Diese Unternehmen haben in der Regel 50 – 500 Mitarbeiter im strategischen Einkauf und einen Umsatz zwischen 0,5 bis 20 Mrd. Euro pro Jahr.

Um das Thema Corona kommen wir nicht ganz herum … Es wurde bzw. wird viel von Lieferengpässen gesprochen. Kann Lhotse Analytics hier von Nutzen sein?
Das Thema spielt uns vertrieblich sicherlich nicht in die Karten, da die Einkaufsorganisationen gerade extrem „unter Storm stehen“ und ausschließlich damit beschäftigt sind, überhaupt Zukaufteile zu beschaffen. Unsere Software könnte jedoch sicherlich ein Teil der Lösung sein, indem es unterstützt, strategische Fragestellungen zu beantworten. Wir können zwar keine Lieferantenkapazitäten schaffen, aber wir können helfen, die vorhandenen Kapazitäten und Bedarfe besser zu verstehen und zu steuern. Durch unsere Lösung werden auch viele manuelle Tätigkeiten automatisiert, was unterm Strich hilft, im Tagesgeschäft mehr Zeit zu haben, um solche Krisen bewältigen zu können.

Gründer und Geschäftsführer von ivoflow: Daniel Demuth (li.) hat 20 Jahre Erfahrung im strategischen globalen Einkauf. Er war u. a. zehn Jahre beruflich in Detroit, Michigan, bei Marktführen in den Bereichen Automotive und Medical. Wirtschaftsingenieur Nicolas Neubauer kann sieben Jahre Erfahrung im globalen strategischen Einkauf in der Automobilindustrie aufweisen. Er arbeitete z. B. für die ZF Friedrichshafen AG, einem der größten Automobilzulieferer weltweit. (Foto: Stefan Veres)

Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Wir sind gerade dabei, unsere ersten Kunden an unsere Software anzubinden. Hier werden wir sicherlich nochmals einiges an Erfahrungen mitnehmen können. Im nächsten Schritt stehen dann Wachstum sowie die kontinuierliche Entwicklung unseres Produktes an. So möchten wir z. B. Machine-Learning-Technologien anwenden, um Einkäufern stets die richtige Verhandlungsmethodik vorschlagen zu können.

Kommen wir abschließend noch kurz auf das TechnologieZentrum Koblenz zu sprechen. Wann und warum sind Sie ins TZK gezogen?
Wir sind mit dem „Go-to-market“ im Februar 2021 im TZK eingezogen. Die Gründe hierzu waren sehr vielfältig. Die Lage und die Nähe zur Universität Koblenz waren wichtige Kriterien. Von der Uni haben wir bereits zwei Mitarbeiter einstellen können. Wichtig sind auch das Netzwerk und nicht zuletzt die guten Konditionen, die Infrastruktur und die Flexibilität, die ein Start-up gerade zu Beginn benötig. Und so langsam zieht auch wieder Leben in die Flure ein, was coronabedingt zu Jahresbeginn nicht unbedingt der Fall war …

Herr Neubauer, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Ihnen und ivoflow viel Erfolg!

Mehr Informationen auf www.ivoflow.com