Nachhaltigkeit als Lernprozess: Wie Dr. Julia Reckfort Unternehmen zukunftsfähig macht

Seit Dezember haben wir neuen Zuwachs im Coworking Space. Dr. Julia Reckfort ist neu bei uns und bringt frische Impulse im Bereich Nachhaltigkeit mit. Für ein Interview haben wir uns in den kleinsten Raum des TechnologieZentrums zurückgezogen und eine Menge über die einstige Wissenschaftlerin erfahren.

Dr. Julia Reckfort.

Im Coworking Space sind viele Themen vertreten. Aus welcher Branche kommen Sie, Frau Dr. Reckfort?

Mein Schwerpunkt liegt im Bereich Nachhaltigkeit und Transformation. Zum einen biete ich Fortbildungen und Weiterbildungen für Einzelpersonen und Unternehmen an, zum anderen aber auch Beratung, damit das ganzheitlich funktioniert. Mir ist es total wichtig, Unternehmen zu unterstützen und sie auf den Weg zu bringen, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zusammen zu denken und nicht als getrennte Aspekte zu betrachten. Erst durch die Symbiose ergeben sich signifikante Vorteile für ein Unternehmen.

Machen Sie das alleine?

Nein, ich bin Teil der Transform-Academy, die Monika Kolb gegründet hat. Wir zeigen, dass Nachhaltigkeit auch ein Kompetenz- und Strategie-Thema ist. Das führt zur Erschließung von neuen Geschäftsfeldern und zu Innovationen, die vorher gar nicht möglich gewesen wären.


Ich bin sehr glücklich, die Akademie mit Monika zusammen zu führen, da wir sehr unterschiedlich sind, uns aber sehr gut ergänzen. Gemeinsam erreicht man einfach mehr als als Einzelkämpfer. Das Thema nachhaltiges Wirtschaften und der Kompetenzaufbau in Unternehmen liegt uns beiden sehr am Herzen. In unseren Fortbildungen zeigen wir, dass Nachhaltigkeit mehr als Ökologie ist. Das ist ein wichtiges Kompetenz- und Strategie-Thema für jedes Unternehmen. Wenn man es schafft, Ökologie und Ökonomie zusammen strategisch zu denken, erschließen sich neue Geschäftsfelder und es entstehen Innovationen, die vorher gar nicht möglich gewesen waren.

Sie tragen einen Doktortitel. In welchem Fach?

Ich habe einen Doktortitel in Physik gemacht. Ursprünglich habe ich Fotoingenieurwesen und Medientechnik studiert, weil ich mich nach der Schule nicht zwischen Fotografie und Physik entscheiden konnte. Fotoingenieurwesen schien eine spannende Kombination zu sein. War es auch, aber ich habe festgestellt, dass mir ein FH -Ingenieur zu wenig ist und ich viel mehr wissen wollte, wie die Sachen wirklich funktionieren. Mich in ein Thema komplett einarbeiten wollte und das Wissen vertiefen wollte. Deshalb wollte ich den Doktor machen und habe ein spannendes Thema im Forschungszentrum Jülich gefunden. Dort ging es darum, ein Bildgebung-System weiter zu entwickeln, um Nervenfasern post mortem zu untersuchen. Das habe ich total gerne gemacht, doch am Ende vom Doktortitel festgestellt, dass die Wissenschaftswelt nicht auf Dauer meine Welt ist. Also wechselte ich in die Wirtschaft. So kam ich unter anderem in die Automobilindustrie, in der ich zuerst als Function Owner und später als Testmanagerin tätig war. Drei interessante Berufsfelder später, wusste ich: Fahrerassistenzsysteme sind interessant, aber ich möchte noch andere Dinge lernen. Ich bin an den Punkt gekommen mich zu fragen: Was ist mir wichtig? Was treibt mich wirklich an? Wo möchte ich meine Zeit reinstecken? Und im Nachhinein war die Antwort offensichtlich, da mich das Thema (im Privaten) seit meiner Kindheit begleitet: Natur und Nachhaltigkeit.

Warum fiel Ihre Entscheidung nach Forschung und Automobilindustrie auf Nachhaltigkeit?

Es liegt an meiner Verbundenheit zur Natur. Ich möchte das schützen, was sich nicht selber schützen kann. Die Natur hat keine eigene Stimme. Ursprünglich wollte ich Landschaftsfotografin werden und bin sehr viel gereist. Mein Ziel war, allen die Schönheit der Natur zu zeigen. Meine erste Entscheidung für die Forschung war zugleich eine Entscheidung gegen die Fotografie. Doch diese Liebe und Begeisterung ist irgendwie immer geblieben. Und der Weg, den ich jetzt wähle, um sie zu schützen, nutzt mein bisheriges Wissen und meine Erfahrung. Meine größte Stärke ist mein analytisches Denken – schnell Probleme zu erfassen und pragmatische Lösungen zu finden. Und ich bin glücklich, dass ich jetzt Unternehmen unterstützen darf, ihren Weg zum nachhaltigen Wirtschaften zu finden. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet für mich zukunftsorientiertes Wirtschaften. Damit wir eine lebenswerte Welt behalten. Das möchte ich auch für meine Kindern ermöglichen. Sie sollen auch die Welt bereisen und in ihrer Schönheit sehen können. Für Unternehmen ist die Wirtschaftlichkeit wichtig und ich glaube, dass beides absolut zusammen vereinbar ist!

Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit für die Zukunft.

Auch wenn man sich gerade anguckt: Wie wird sich das Klima weiterentwickeln? Wie werden sich die äußeren Umstände aufgrund dessen weiterentwickeln? Die Lieferketten werden schwieriger aufgrund von Klimaereignissen, von Extremwetterereignissen. Das Interesse der Kundschaft, der Endkunden und der Zwischenkunden, wird sich ändern. Auch ihr Bewusstsein verändert sich, weil Ereignisse wie das ihm Ahrtal eine Wirkung auf Menschen haben. Deshalb müssen sich auch Unternehmen fragen: Wie möchten wir in 10 oder 20 Jahren sein? Dafür ist ein Wandel und ein Umdenken notwendig. Jetzt kann es noch durch eine sanfte Transformation gelingen, aber je länger man wartet, desto ungemütlicher wird sie, weil sie dann schneller sein muss.

Was unterscheidet die transform academy von Nachhaltigkeitsberatern?

In der Transform-Academy verfolgen wir ganz stark den Ansatz, dass wir die Menschen und auch die Unternehmen empowern wollen. Wir wollen sie dazu befähigen, dass sie das Thema selbst weitertragen können. Es ist wertvoll, die Unternehmen zu beraten, wenn sie sagen: „Wir brauchen Hilfe bei dem Thema“. Wir finden es aber total wichtig, dass diese Kompetenz im Unternehmen selber aufgebaut wird, weil nur dadurch das Thema tatsächlich nachhaltig in den Firmen bleibt. Wenn jemand vor Ort das Unternehmen kennt, die Kollegen kennt und weiß, wofür das Unternehmen steht und das weiterentwickelt.
Diesen Menschen möchten wir das Wissen vermitteln, damit sie genau das im Unternehmen bewegen können. Wir sind davon überzeugt, dass jeder Mensch seine bisherigen Erfahrungen und Expertise nutzen kann um bei diesem Thema einen deutlichen Mehrwert zu bringen, und wir vermitteln in unserem Kurs die zusätzlichen Kompetenzen, um das Thema nachhaltiges Wirtschaften effektiv im Unternehmen zu verankern. Deswegen haben unsere Kurse die Schwerpunkte: Paradigmenwechsel verstehen, wirkungsorientierte Geschäftsmodelle, nachhaltige Unternehmensstrategien und Change Management. Wir haben einen ganz starken Praxisbezug. Wir wollen, dass unsere TeilnehmerInnen nach den Kursen nicht nur das Wissen und Verständnis haben, sondern einen ganz konkreten Plan für ihre nächsten Schritte. 

Ist Ihr Unternehmen komplett digital aufgestellt?

Ja, wir sind digital, eine Online-Academy. Unser Sitz ist in Solingen, aber bisher führen wir alle Kurse online durch, was nicht zuletzt auf Corona zurückzuführen ist. Die Kurse entstanden 2020, damals noch unter anderem Namen. Daher sind wir jetzt schon im zwölften Durchlauf, obwohl unsere Akademie erst 2023 gegründet wurde. Alle Kurse werden kontinuierlich weiterentwickelt. Wir arbeiten in Kleingruppen, sodass die Kursteilnehmenden eine enge Bindung zueinander aufbauen. Die Verbundenheit bleibt auch darüber hinaus bestehen. Auch unser Alumni-Netzwerk ist sehr aktiv. Das freut uns ganz besonders, denn das Thema Nachhaltigkeit und Zukunftsentwicklung funktioniert nur gemeinsam. Genau deswegen verfolgen wir einen starken Communitygedanken bei uns, und einen Befähigungsgedanken.

Wer sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Unsere Teilnehmer sind sehr unterschiedlich. Der Kurs nennt sich Sustainability Transformation Manager, also werden in der Regel Nachhaltigkeitsmanager darauf aufmerksam, wenn sie nach Fortbildung suchen. Sie machen etwa 1/3 unserer Teilnehmer aus. Von neuen Nachhaltigkeitsbeauftragten über Menschen mit 10 oder 15 Jahren Erfahrung in dem Bereich. Wir haben aber auch viele Quereinsteiger, die den Kurs zur Umorientierung nutzen, weil es sich dabei um einen Zertifikatslehrgang handelt. Außerdem haben wir Berater und Unternehmer als Teilnehmende. Und genau diese Vielfalt bietet einen immensen Mehrwert für alle Teilnehmenden, da die unterschiedlichsten Perspektiven und Branchen aufeinander treffen und man sich gegenseitig durch neue Ideen unterstützt. 

Das ermöglicht demnach auch Vorteile am Arbeitsmarkt.

Auf jeden Fall. Zu uns kommen aber auch Berater, die als Solo-Selbstständige klassische Unternehmensberatung gemacht haben und jetzt zusätzlich das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen wollen. Und da wir unterschiedliche Dozenten haben, die auch über einen Berater-Hintergrund verfügen und mittelständischen Unternehmen mit unterschiedlichem Fokus weiterhelfen, bringen diese sehr attraktives Wissen für unsere Teilnehmer mit.

Spannend, dass unter Ihren Teilnehmern auch Menschen mit langjähriger Berufserfahrung sind.

Ja, es ist tatsächlich so, dass sie sagen: „Es ist ein sehr guter Kurs.“ Manches lernen sie neu, wie Change Management und Kommunikation, die zur Zeit ihres Studiums noch nicht so präsent war. Logischerweise lernen sie nichts Neues über planetare Grenzen und Ähnliches. Das ist ihre Welt seit 15 Jahren. Sie sagen trotzdem, dass dieses wieder Auffrischen und Ergänzen von Wissen oder Dinge aus einer anderen Perspektive zu hören, ihnen wirklich viel bringt. Wir nehmen dieses Feedback auf und entwickeln gerade einen Kurs für sehr erfahrene Nachhaltigkeitsmenschen.


Für viele Nachhaltigkeitbeauftragte sind gerade die Module zu den Themen Strategie und Change Management extrem wertvoll. Aktuell haben viele Nachhaltigkeitsbeauftragte das Problem: Sie verbrennen, sie laufen einfach gegen interne Wände. Zum einen müssen sie das ganze Reporting auf die Beine stellen und zum anderen erleben sie nicht mehr das, weswegen sie sich für den Job entschieden hatten. Sie wollten etwas bewegen. Die meisten sind mit Herzblut in diesen Job gestartet und sie stellen fest: Da sind Wände. Es passiert zu wenig. Man hört nicht auf sie. Die Geschäftsführung interessiert sich nicht für sie. Die Kollegen empfinden es als Zusatzarbeit, auf die sie keine Lust haben. Und genau hier liegt der Mehrwert für sie in unserer Fortbildung: Wir vermitteln ihnen Strategien und Methoden, wie man hier erfolgreich vorgehen kann. Man erhält das Verständnis: Ja, wie tickt denn eigentlich die Geschäftsführung? Wie muss ich mit der reden? Auch Wirtschaftlichkeit gehört in den Fokus. Denn ein Unternehmen, das 100 % nachhaltig ist und pleite geht, ist auch im Endeffekt nicht nachhaltig. Es muss immer beides zusammen funktionieren.

Was muss geschehen, um ins Handeln zu kommen?

Reines Wissen reicht nicht, um ins Handeln zu kommen. Man braucht unter anderem innere Klarheit, Mut und Überzeugung. Die „Inner Development Goals“ fassen dies als 5 Dimensionen mit 23 unterschiedlichen Fähigkeiten zusammen. Ein guter erster Schritt ist es, sich über den eigenen inneren Kompass klar zu werden: Was ist mir wirklich wichtig? Was sind meine Werte? Wofür möchte ich einstehen? Eine klassische Übung dafür ist, zu überlegen: Wenn ich 90 bin und auf mein Leben zurückblicke, was möchte ich erreicht haben? Was möchte ich bewegt haben? Wen möchte ich erreicht haben? Und dann sich Gedanken zu machen: Okay, welche Schritte muss ich gehen, um genau dahin zu kommen? Man wechselt die Perspektive und denkt die Gegenwart aus der Zukunft heraus. Nur, wenn man sich der eigenen Werte klar ist, kann man integer und authentisch handeln.

Fünf Dimensionen mit 23 Fähigkeiten, das klingt nach viel.

Das stimmt. Und es ist auch nicht das Ziel, alle 23 Fähigkeiten zu meistern, aber es gibt Denkanstösse, wo man sich eventuell noch weiter entwickeln kann und dazu lernen kann, um mehr Impact zu haben. Für mich persönlich ist dabei zum Beispiel sehr wichtig: Wie nehme ich den anderen wahr? Wie kann ich seine Position wertschätzen, statt mich davon angegriffen zu fühlen, dass er eine andere Meinung hat als ich. Akzeptieren und auch wirklich zuhören zu können, ohne und nach Gegenargumenten zu suchen, während der andere noch spricht – auch das ist wichtig. Ansonsten hört man nicht richtig zu, ist nicht in Verbindung miteinander.

Sie meinen, weil bei einem so polarisierenden Thema Zuhören besonders wichtig ist?

Ja, viele Menschen Reden in Sachen Klima nicht miteinander, sondern gegeneinander. Man kann Menschen aber nur mitnehmen, wenn man sie wahrnimmt und ihnen zuhört. So kann ein Klimaleugner in Wahrheit ein Mensch sein, der schlicht und einfach große Zukunftsangst hat und diese aus Selbstschutz nicht wahrhaben möchte. Aber das läuft natürlich unbewusst ab. Ich habe mich für diesen Job und Weg entschieden, weil ich gesagt habe: Ich möchte den größtmöglichen Handabdruck erzielen, den ich für mich generieren kann. Handabdruck bedeutet: So viel CO2 einsparen wie durch Handlung möglich ist, nicht durch Verzicht, wie es der Fußabdruck ist.

Sind Sie deshalb aus top bezahlten Jobs ausgestiegen und die Selbstständigkeit gewagt?

Das war mein Hauptgrund. Denn ich wollte nicht nur privat, sondern auch beruflich etwas tun, das meinen Werten entspricht. Ein anderer Grund für meine Wechsel war, dass ich mich gelangweilt habe. Ich bin lernhungrig und möchte immer dazulernen. Sobald ich im neuen Job Wissen getankt und ein Thema voller Tatendrang umgesetzt habe, will ich Neues bewegen.

War das auch während Ihrer Australien-Reise so?

Ja. (Lacht) Nachdem ich einen Monat gereist bin, überkam mich der Gedanke: Ich muss unbedingt etwas lernen! Also studierte ich australische Geschichte.

Und wie ist es jetzt? Bringt Ihr Schritt in die Selbstständigkeit immer wieder Neuanfänge?

Was mich auch schon immer angetrieben hat, war das Lehren. Deshalb war eines meiner ersten Ziele eine wissenschaftliche Laufbahn. Jetzt verbinde ich die Wissensweitergabe mit Neuanfängen. Denn ich bringe gerne Dinge ins Laufen und übergebe dann den Staffelstab an diejenigen, die sich jahrelang um diese Aufgabe kümmern möchten. Menschen, die diese Sicherheit bevorzugen. Ich befähige sie dazu, es auch ohne mich zu schaffen. Bei meinem letzten Arbeitgeber hatte ich unter anderem eine Art interne Consultingstelle und mein Chef hat mir erklärt: „Du hast deinen Job gut gemacht, wenn du überflüssig geworden bist.“ Das ist auch meine Zielsetzung bei der transform academy. Wenn wir unseren Job gut gemacht haben, braucht uns das Unternehmen nicht mehr.  Dann kommt das nächste Unternehmen mit seinen Bedürfnissen und individuellen Fragen.

Was steht als Nächstes in der Transform-Akademie an?

Aktuell bereiten wir uns auf den Kursstart von Sustainability Transformation Manager vor, der am 5. März losgeht. Wir freuen uns schon total, weil auch neue Themen dabei sind. Auch KI gehört dazu.

Kann man sich noch anmelden?

Ja, aktuell haben wir noch Plätze. Der Kurs lebt auch durch die Vielfalt der Teilnehmer, deshalb freuen wir uns auf weitere Anmeldungen.

Wo kann man sich anmelden?

Das kann man über unsere Webseite tun: www.transform-academy.de.

Verraten Sie uns bitte zum Schluss, wie Sie im TZK gelandet sind.

Als ich mich selbstständig gemacht habe, fragte ich mich: Wo finde ich interessante Kontakte? Wo treffe ich andere Menschen, die sich auch mit Gründungsthemen beschäftigen? Zufällig fuhr ich häufig am TZK vorbei und googelte irgendwann, was das TZK ist. Dann habe ich am Startup Kaffee von Dr. Anders Lehr teilgenommen und bin so ins Gespräch gekommen. Wenig später mietete ich mich mich hier im Coworking Space ein.

Das freut uns sehr. Wir sind gespannt auf den weiteren Austausch mit Ihnen!